Architekt:innen
Doris Thut und Ralph Thut, Otto Steidle
Gebäude
Wohnanlage Genter Straße
Ort
Genterstraße, München
Jahr
1969-1971
Typologie
Wohnen mit Büro

1 Ulrich Conrads, Manfred Sack (Hg.): Otto Steidle – Werkmonographie, Vieweg + Teubner Verlag, Wiesbaden 1985, S. 13

2 o. A.: Ehrlich rauh, in: Der Spiegel, 15/1972, S. 158 f.

3 Doris Thut im Gespräch mit Christina Arnold, 05.06.2023

Inmitten einer bestehenden Doppelhaussiedlung in München-Schwabing, nahe dem Englischen Garten, erhält Otto Steidle 1969 die Möglichkeit, auf einem 2.000 m² großen Grundstück in der Genter Straße eigene Büroräume sowie eine Wohnanlage für seine Familie und fünf weitere Parteien aus dem Bekanntenkreis zu realisieren.¹ Doris Thut und Ralph Thut übernehmen als freie Mitarbeitende im Büro Muhr + Steidle die gestalterische Verantwortung für das Projekt.² Die Bezahlung erfolgt über einen fest geregelten Monatslohn, der jedoch bei Doris Thut geringer ausfällt als bei ihrem Mann.³

Der Entwurf verfolgt das Ziel, den industriellen Fertigteilbau mit der Möglichkeit zu verbinden, weitgehend individuell und flexibel zu wohnen. Dazu soll sich das Gebäude ändernden Bedürfnissen anpassen lassen und erweiterbar sein. Der lang gestreckte Baukörper setzt sich aus sieben unterschiedlich breiten Reihenhauseinheiten zusammen. Sein Grundgerüst bilden vorgefertigte Stahlbetonstützen mit halbgeschossigen Auflagerkonsolen, auf denen die Längs- und Querträger liegen. Die elementierten und entgegen der ursprünglichen Idee fest verbauten Deckenplatten steifen das Gebäude im Zusammenspiel mit den Ortbetonschächten aus. Die Trennwände sind als Gipskartonschale mit Schallisolierung ausgeführt, die Außenwand ist zusätzlich mit gefalztem Aluminium verkleidet. Im Wechsel mit der Isolierverglasung sind in die Stahlhohlprofile der Fassade unterschiedlich eingefärbte Faserzementpaneelen eingepasst. Möglichst reduzierte Anschlussdetails sollen einen späteren Umbau begünstigen.

Im Innern sind die Einheiten durch split level gegliedert, aus denen sich die Einteilung der unterschiedlichen Wohnbereiche ergibt und die über kurze Stahltreppen miteinander verbunden sind. Innerhalb der vorgegebenen Betonfertigteilstruktur entstehen verschiedenartige Volumen mit Vor- und Rücksprüngen. Der Rahmen kann Wohnräume ebenso wie Terrassen aufnehmen oder aber leer bleiben. Entsprechend zeichnet sich die Wohnanlage durch eine besondere Komplexität aus. In Kombination mit den differenzierten und bunt gestalteten Fassaden sowie dem offen gezeigten Betongerüst ergibt sich ein für München ungewohnter Anblick.

Schon kurz nach der Fertigstellung 1971 erweckt das Gebäude viel Aufmerksamkeit. Außer den Fachzeitschriften berichtet neben der Süddeutschen Zeitung und dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel sogar der Bayerische Rundfunk in einem Filmbeitrag über das Projekt. Als Bauherr und Architekt kommt dabei lediglich Otto Steidle zu Wort. Im Spiegel-Beitrag wird er hingegen nur als „Baumeister“ vorgestellt, während Doris Thut und Ralph Thut mit Ausführungen zum Entwurf zitiert werden. Im Streit um das Urheberrecht, das beide Parteien für sich beanspruchen, beenden Doris Thut und Ralph Thut die Zusammenarbeit mit Otto Steidle. Zuvor wird allerdings noch eine direkt angrenzende zweite Wohnanlage im gleichen System entlang der Peter-Paul-Althaus-Straße fertiggestellt. 2022 wird das Projekt in der Genter Straße unter Nennung aller drei Namen mit dem BDA-Preis Klassik-Nike ausgezeichnet.

Lageplan

Ansicht Straße

Fassadenansicht, Wohnanlage Genter Straße 1971, D.+R. Thut und Otto Steidle, Foto: Klaus Kinold, 1972 © Klaus Kinold-Stiftung Architektur + Fotografie, München

Büroraum, Wohnanlage Genter Straße 1971, D.+R. Thut und Otto Steidle, Foto: Klaus Kinold, 1972 © Klaus Kinold- Stiftung Architektur + Fotografie, München

Fassadenansicht, Wohnanlage Genter Straße 1971, D.+R. Thut und Otto Steidle, Foto: Klaus Kinold, 1972 © Klaus Kinold-Stiftung Architektur + Fotografie, München

Büroraum, Wohnanlage Genter Straße 1971, D.+R. Thut und Otto Steidle, Foto: Klaus Kinold, 1972 © Klaus Kinold- Stiftung Architektur + Fotografie, München

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Schnitt

Dachterrasse, Wohnanlage Genter Straße 1971, D.+R. Thut und Otto Steidle, Foto: Christina Arnold, 2023

Erdgeschoss

Obergeschoss 1

Obergeschoss 2

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Detail der Betonstützen, Wohnanlage Genter Straße, D.+R. Thut und Otto Steidle, Foto: Christina Arnold, 2023

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